„Großbritannien darf sich nicht die Rosinen rauspicken“

Ein „beispielloses und bedauerliches Ereignis“, so sieht die große Mehrheit der EU-Parlamentarier den Austritt Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft. Doch das britische Volk hat entschieden und nun gilt es, die Verhandlungen über die Bedingungen der Scheidung einzuleiten.

Die Kommission wird im Namen der verbleibenden 27 Staaten mit London verhandeln, aber auch das Europäische Parlament spielt in dem Prozess eine wichtige Rolle. Denn nur wenn die Abgeordneten dem Austrittsabkommen zustimmen, kann es am Ende in Kraft treten.

Das Europäische Parlament verabschiedete in Straßburg eine Entschließung, die mit einer großen Mehrheit von 516 Abgeordneten angenommen wurde. In dem Text, welchen die Sozialdemokraten gemeinsam mit anderen Fraktionen eingebracht hatten, fassen die Abgeordneten ihre Positionen zusammen und stellen Forderungen auf, wie das Austrittsabkommen gestaltet werden soll.

Binnenmarkt: Ganz oder gar nicht

Noch liegen die Positionen der EU einerseits und der britischen Regierung andererseits weit auseinander. Die Kunst sei nun, einen gemeinsamen Nenner zu finden, sagt Arndt Kohn: „Ziel der Verhandlungen muss sein, eine Lösung zu erzielen mit der sowohl die Briten als auch die verbleibenden EU-Mitglieder leben können. Einem exportstarken Land wie der Bundesrepublik kann nicht an einem harten Brexit gelegen sein. Aber es darf auch nicht sein, dass sich das Vereinigte Königreich in den Verhandlungen die Rosinen herauspickt.“

In der Entschließung hoben die Abgeordneten hervor, dass die vier Freiheiten des europäischen Binnenmarktes – der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskraft – unzertrennlich sind. Darauf hatte die sozialdemokratische Fraktion im Vorfeld immer wieder gepocht: Wer von den Vorteilen des gemeinsamen Marktes profitieren will, muss auch sämtliche Spielregeln akzeptieren.

In der Resolution stellten die Abgeordneten daher klar, dass „ein Staat, der aus der Union austritt, nicht von ähnlichen Vorteilen profitieren kann wie ein Mitgliedstaat der Union“. Einem Austrittsabkommen, das diesem Grundsatz nicht entspricht, werde das Parlament nicht zustimmen.

Richtung Ausgang: Die zweijährige Frist bis zum Austritt Großbritanniens läuft bereits.

Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger sollten bei den Verhandlungen an erster Stelle stehen, betonten die Abgeordneten. Bis das Austrittsabkommen in Kraft trete, behalte Großbritannien seine Rechte als EU-Mitgliedsstaat und sei „deshalb auch an seine Zusagen und Pflichten, die sich daraus ergeben, gebunden“, heißt es in der Entschließung. Dies gilt ausdrücklich auch für finanzielle Verpflichtungen des Vereinigten Königreiches.

„Die Briten müssen selbstverständlich für ihre rechtlich verbindlichen Verpflichtungen im mehrjährigen Finanzrahmen der EU einstehen – also noch weitere 60 Milliarden Euro an die EU zahlen“, sagt Jens Geier, Vorsitzender der Europa-SPD und stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses. „Die Europäische Union sollte den Brexit als Chance nutzen, ihren Haushalt zu reformieren.“

Eine Warnung an London

Bei den anstehenden Verhandlungen geht es zunächst nur um die Bedingungen des Austritts. Wie die Beziehungen der EU und Großbritanniens in Zukunft aussehen werden, wird erst verhandelt, wenn das Vereinigte Königreich die Gemeinschaft verlassen hat. Das Parlament stellte in seiner Entschließung klar, dass jegliche Übergangsregelungen erst dann auf den Tisch kämen, wenn es in den Gesprächen über den Austritt „substantielle Fortschritte“ gebe. Die Abgeordneten warnten London außerdem davor, eigenständig über Handelsabkommen mit Drittstaaten zu verhandeln, solange Großbritannien noch Mitglied der Union ist.

Im Wahlkampf hatten die konservativen und rechtspopulistischen Brexit-Befürworter große Versprechungen gemacht und dem Land eine glänzende Zukunft außerhalb der Gemeinschaft prophezeit. Für viele Wählerinnen und Wähler könnte nun das böse Erwachen folgen.

„Bei der knappen Entscheidung der Briten für den Ausstieg kommt zunehmend die Erkenntnis, dass das mit falschen Fakten bediente Bauchgefühl eher für Magenschmerzen als für Schmetterlinge im Bauch sorgt“, so Arndt Kohn. Ohne die EU fehle London der Rückhalt einer starken Gemeinschaft: „Ein Land, das anschließend alleine in der Welt Partner suchen muss, wird es sicherlich schwerer haben als die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten mit ihren rund 445 Millionen Bürgerinnen und Bürgern.“

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